Vorderhaus / Fronthouse
Jan. 19th, 2005 01:43 amEs stand bestimmt schon zwei Jahre leer, bevor wir es wieder entdeckten. Es hatten junge Leute dort gewohnt, Studenten, junge Eltern. Die Zwillinge hatten dort gelebt, zwei blonde Jungs, die mit uns spielten, und die wir nie auseinander halten konnten.
Wir hatten im Garten zwischen dem Vorderhaus und Kims Haus alle zusammen gespielt, gegrillt, gefeiert. Im Keller hatten wir 'Kleiner Vampir' gespielt, mit ekelhaftem 'Parfum de Stink' und einem älteren Nachbarn als Geiermeier.
Ich wusste gar nicht, was 'Vorderhaus' bedeutet. Dass es ein richtiges Wort war, das anzeigte, dass es das Haus zur Strasse hin war, im Gegensatz zu dem Hinterhaus, in dem Kims Familie wohnte. Ich dachte, es heißt einfach so. Forda-Haus.
Dann stand es eines Tages leer, aber wir waren zu jung, um nach dem Warum zu fragen. Wir vergaßen dieses riesige, weiße Haus, bis es nicht mehr war als die Hintergrunddekoration unseres Lieblingsspielplatzes.
Und dann, eines Tages, da entdeckten wir es wieder.
Es hatte an der Seite ein kleines, quadratisches Holzfenster, vierfach unterteilt, und eine der Teilscheiben fehlte. Dieses Fenster war ungefähr auf unserer damaligen Kniehöhe, und gerade groß genug, um hindurchzukrabbeln. Natürlich musste man dazu erst einmal durch das Brombeergebüsch klettern und durch die kaputte Scheibe greifen, um den Riegel zu öffnen.
Dieses Fenster war früher manchmal die einzige Rettung der Vampire vor Geiermeier gewesen. Nun war es der einzig verbleibende Eingang.
Wir fanden so viele Schätze dort drinnen! Alte Waschmaschinen und Herde, einen Automotor und Kanisterweise Öl, alte Bast-Fußmatten, Kistenweise Faschings-Deko, einen Schaukelstuhl, Schränke, Stühle, Tische, ein Bett und einen Raum voller Werkzeug. Oben hingen noch Bilder an den Wänden, und im Bad stand eine Zahnbürste in einem Zahnputzbecher.
In einem Flur hing noch die Pinnwand mit lauter kleinen Fetzen Alltag.
Im obersten Stockwerk entdeckten wir scharfe Linien in der Wandvertäfelung, die eine Geheimtür anzeigten, und tatsächlich, dahinter verbarg sich eine kleine Kammer, in der jemand Kissen, zerschlissene Comics und uralte Bonbons verteilt hatte. Sie hatte sogar ein winziges Fenster.
Im Garten vor dem Vorderhaus wuchs ein Kirschbaum, und Blumen, die wir noch nie gesehen hatten, und alles war vollkommen zugewuchert.
Der Strom lief noch, das Wasser nicht.
Im Keller, eher im Sousterrain, gab es einen unheimlichen Raum, tiefer gelegt, mit hinabführenden Stufen. Dort war alles weiß gekachelt und leer, nur auf dem Boden waren dunkle Flecken. Dieser Raum hatte kein Licht.
Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war das wohl die ganz unspektakuläre Waschküche. Aber, verdammt, haben wir uns gegruselt.
Wir gründeten einen Club. In den durften nur Mädchen, die Kim oder mich im Prügeln besiegten, zehn Minuten im Dunkeln im gekachelten Raum aushielten und einen heiligen Eid auf unsere Statuten schwörten. Das war eine ganz große Sache. Äußerst geheim.
Wir richteten uns ein, wir spielten, wir prügelten uns mit den Jungs aus der Hansenstrasse.
Wir logen, um unseren Eltern Ölflecken auf Jeans oder 'neu erworbene' Werkzeuge zu erklären.
Wir hatten eine großartige Zeit.
Das Haus atmete um uns herum. In meiner Erinnerung scheint immer Sonne durch die Fenster in die staubigen Räume.
Die Zeit stand still.
All das warme Braun, der Kork und der Bast der in den frühen 80gern eingerichteten Wohnungen klang nach frühester Kindheit für uns.
Wir waren zu Hause.
Eines Tages dann brachen wir die Haupttür des Sousterrains auf, und gerade, als wir diese das erste Mal testen wollten, stand Kims Vater direkt davor im Hof. Uns fielen die Herzen in die Hosen. Ich war so sauer, dass wir durch unsere Unvorsichtigkeit alles verdorben hatten. Aber er seufzte nur, meinte, er habe sich schon die ganze Zeit gefragt, wann wir das Vorderhaus erobern würden, und gab uns den Schlüssel.
Mein Vater gab mir noch am nächsten Abend einen Heizlüfter, einen Mini-Backofen und Farbe.
Also räumten wir den besten Raum des Sousterrains aus, strichen ihn weiß, blau und rot, stellten die besten Möbel hinein, und ich kochte uns Vanillepudding, während Kim Brombeeren dazu sammelte.
Wir hatten sogar einen alten Waschtisch und eine riesige Amphore mit Wasservorrat. Mit der konnten wir auch das Klo nebenan versorgen.
Wir hatten alles.
Ich habe mich noch nie vorher derartig reich gefühlt.
Die schmiedeeisernen Fenster waren halb von Heckenrosen überwuchert und ließen sich nur schwer öffnen. Aber von meinem Fenster daheim aus konnte ich immer sehen, wenn Kim dort eine Kerze hineinstellte, um mir anzuzeigen, dass sie da war.
Sie konnte ebenfalls von ihrem Fenster aus dorthin gucken. Und manchmal stohlen wir uns mitten in der Nacht dorthin, um Tee zu trinken und irrsinnige Pläne zu schmieden.
Noch in der Mittelstufe, lange nachdem der Club sich aufgelöst hatte, haben wir dort unsere Hausaufgaben gemacht. Wegen der Wandfarben nannten wir sie unsere 'Französische Fluchtecke'.
Ich war nicht da, als sie es abrissen. Wir hatten es lange vorher gewusst, und ich war bei meinen Großeltern, eine Woche lang, es waren ja eh Ferien. Kim war ebenfalls geflüchtet.
Kims Vater hatte vor Gericht versucht, beide Häuser zu retten, aber am Ende nur das eigene retten können.
Es war nichts kaputt am Vorderhaus. Es war völlig intakt, sehr elegant und auf etwas verschmitze Art sogar herrschaftlich, mit der hohen Hecke an der Einfahrt und dem alten schönen Kirschbaum.
Jetzt steht dort ein Neubau. Und es tut mir immer noch jedes Mal weh, wenn ich dieses nichtssagende Stück 'effektiver Architektur' sehe. Der Schaukelstuhl steht jetzt hier in der WG in der Fernsehecke, und das jämmerliche, kleine, graue Holzfenster lehnt bei uns im Keller gegen eine Wand.
Mittlerweile sind die anderen drei Teilscheiben ebenfalls herausgbrochen. Mit Kim habe ich seit fast 6 Jahren nicht mehr gesprochen.
**********
Translation will follow, I hope.
Wir hatten im Garten zwischen dem Vorderhaus und Kims Haus alle zusammen gespielt, gegrillt, gefeiert. Im Keller hatten wir 'Kleiner Vampir' gespielt, mit ekelhaftem 'Parfum de Stink' und einem älteren Nachbarn als Geiermeier.
Ich wusste gar nicht, was 'Vorderhaus' bedeutet. Dass es ein richtiges Wort war, das anzeigte, dass es das Haus zur Strasse hin war, im Gegensatz zu dem Hinterhaus, in dem Kims Familie wohnte. Ich dachte, es heißt einfach so. Forda-Haus.
Dann stand es eines Tages leer, aber wir waren zu jung, um nach dem Warum zu fragen. Wir vergaßen dieses riesige, weiße Haus, bis es nicht mehr war als die Hintergrunddekoration unseres Lieblingsspielplatzes.
Und dann, eines Tages, da entdeckten wir es wieder.
Es hatte an der Seite ein kleines, quadratisches Holzfenster, vierfach unterteilt, und eine der Teilscheiben fehlte. Dieses Fenster war ungefähr auf unserer damaligen Kniehöhe, und gerade groß genug, um hindurchzukrabbeln. Natürlich musste man dazu erst einmal durch das Brombeergebüsch klettern und durch die kaputte Scheibe greifen, um den Riegel zu öffnen.
Dieses Fenster war früher manchmal die einzige Rettung der Vampire vor Geiermeier gewesen. Nun war es der einzig verbleibende Eingang.
Wir fanden so viele Schätze dort drinnen! Alte Waschmaschinen und Herde, einen Automotor und Kanisterweise Öl, alte Bast-Fußmatten, Kistenweise Faschings-Deko, einen Schaukelstuhl, Schränke, Stühle, Tische, ein Bett und einen Raum voller Werkzeug. Oben hingen noch Bilder an den Wänden, und im Bad stand eine Zahnbürste in einem Zahnputzbecher.
In einem Flur hing noch die Pinnwand mit lauter kleinen Fetzen Alltag.
Im obersten Stockwerk entdeckten wir scharfe Linien in der Wandvertäfelung, die eine Geheimtür anzeigten, und tatsächlich, dahinter verbarg sich eine kleine Kammer, in der jemand Kissen, zerschlissene Comics und uralte Bonbons verteilt hatte. Sie hatte sogar ein winziges Fenster.
Im Garten vor dem Vorderhaus wuchs ein Kirschbaum, und Blumen, die wir noch nie gesehen hatten, und alles war vollkommen zugewuchert.
Der Strom lief noch, das Wasser nicht.
Im Keller, eher im Sousterrain, gab es einen unheimlichen Raum, tiefer gelegt, mit hinabführenden Stufen. Dort war alles weiß gekachelt und leer, nur auf dem Boden waren dunkle Flecken. Dieser Raum hatte kein Licht.
Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war das wohl die ganz unspektakuläre Waschküche. Aber, verdammt, haben wir uns gegruselt.
Wir gründeten einen Club. In den durften nur Mädchen, die Kim oder mich im Prügeln besiegten, zehn Minuten im Dunkeln im gekachelten Raum aushielten und einen heiligen Eid auf unsere Statuten schwörten. Das war eine ganz große Sache. Äußerst geheim.
Wir richteten uns ein, wir spielten, wir prügelten uns mit den Jungs aus der Hansenstrasse.
Wir logen, um unseren Eltern Ölflecken auf Jeans oder 'neu erworbene' Werkzeuge zu erklären.
Wir hatten eine großartige Zeit.
Das Haus atmete um uns herum. In meiner Erinnerung scheint immer Sonne durch die Fenster in die staubigen Räume.
Die Zeit stand still.
All das warme Braun, der Kork und der Bast der in den frühen 80gern eingerichteten Wohnungen klang nach frühester Kindheit für uns.
Wir waren zu Hause.
Eines Tages dann brachen wir die Haupttür des Sousterrains auf, und gerade, als wir diese das erste Mal testen wollten, stand Kims Vater direkt davor im Hof. Uns fielen die Herzen in die Hosen. Ich war so sauer, dass wir durch unsere Unvorsichtigkeit alles verdorben hatten. Aber er seufzte nur, meinte, er habe sich schon die ganze Zeit gefragt, wann wir das Vorderhaus erobern würden, und gab uns den Schlüssel.
Mein Vater gab mir noch am nächsten Abend einen Heizlüfter, einen Mini-Backofen und Farbe.
Also räumten wir den besten Raum des Sousterrains aus, strichen ihn weiß, blau und rot, stellten die besten Möbel hinein, und ich kochte uns Vanillepudding, während Kim Brombeeren dazu sammelte.
Wir hatten sogar einen alten Waschtisch und eine riesige Amphore mit Wasservorrat. Mit der konnten wir auch das Klo nebenan versorgen.
Wir hatten alles.
Ich habe mich noch nie vorher derartig reich gefühlt.
Die schmiedeeisernen Fenster waren halb von Heckenrosen überwuchert und ließen sich nur schwer öffnen. Aber von meinem Fenster daheim aus konnte ich immer sehen, wenn Kim dort eine Kerze hineinstellte, um mir anzuzeigen, dass sie da war.
Sie konnte ebenfalls von ihrem Fenster aus dorthin gucken. Und manchmal stohlen wir uns mitten in der Nacht dorthin, um Tee zu trinken und irrsinnige Pläne zu schmieden.
Noch in der Mittelstufe, lange nachdem der Club sich aufgelöst hatte, haben wir dort unsere Hausaufgaben gemacht. Wegen der Wandfarben nannten wir sie unsere 'Französische Fluchtecke'.
Ich war nicht da, als sie es abrissen. Wir hatten es lange vorher gewusst, und ich war bei meinen Großeltern, eine Woche lang, es waren ja eh Ferien. Kim war ebenfalls geflüchtet.
Kims Vater hatte vor Gericht versucht, beide Häuser zu retten, aber am Ende nur das eigene retten können.
Es war nichts kaputt am Vorderhaus. Es war völlig intakt, sehr elegant und auf etwas verschmitze Art sogar herrschaftlich, mit der hohen Hecke an der Einfahrt und dem alten schönen Kirschbaum.
Jetzt steht dort ein Neubau. Und es tut mir immer noch jedes Mal weh, wenn ich dieses nichtssagende Stück 'effektiver Architektur' sehe. Der Schaukelstuhl steht jetzt hier in der WG in der Fernsehecke, und das jämmerliche, kleine, graue Holzfenster lehnt bei uns im Keller gegen eine Wand.
Mittlerweile sind die anderen drei Teilscheiben ebenfalls herausgbrochen. Mit Kim habe ich seit fast 6 Jahren nicht mehr gesprochen.
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Translation will follow, I hope.